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Wirtschaftsentwicklung
Die internationale Finanz- und Wirtschaftskrise traf Russland mit Verzögerung. Die Auswirkungen waren aber letztlich gravierender als in den meisten westlichen Ländern und vergleichbaren Schwellenländern. Während beispielsweise die übrigen BRIC-Staaten die Krise mit nur leichten Wachstumsverlusten (China, Indien) oder einer kurzen Rezession (Brasilien) überstanden, erlebte Russland 2009 die schwerste Rezession seit 1998. Nach einem Zuwachs des BIP im Jahr 2008 von 5,6 Prozent gab es 2009 ein Minus von 7,9 Prozent.
Die Krise traf Russland vor allem über durch den Verfall der Rohstoffpreise und durch einen starken Kapitalabfluss ins Ausland. Der Wert der russischen Exporte ging 2009 im Vergleich zum Vorjahr um 35,5 Prozent auf 304 Milliarden Dollar zurück. Der Wert der Importe sank um 34,3 Prozent auf 191,9 Milliarden Dollar. Dank hoher Rücklagen aus dem Rohstoffhandel konnte die russische Regierung mit Steuersenkungen und einer expansiven Ausgabenpolitik das Bankensystem stabilisieren und die Konjunktur beleben. Zu den ergriffenen Maßnahmen gehörten aber auch die Einführung protektionistischer Zollsätze unter anderem auf Neu- und Gebrauchtwagen und Landmaschinen. Eine Abwrackprämie nach deutschem Vorbild kurbelte 2010 den Verkauf von Neuwagen stark an, die Prämie blieb aber auf Modelle beschränkt, die in Russland hergestellt wurden. Im Jahr 2010 erholte sich die russische Konjunktur wieder spürbar. Auf Jahressicht wuchs das BIP um knapp vier Prozent.
Trotz der enormen staatlichen Ausgaben blieb die Staatsverschuldung in Russland vergleichsweise moderat. Sowohl hohe Gold- und Währungsreserven als auch die beiden durch Rohstoffeinnahmen gespeisten staatlichen Reservefonds stellen weiterhin eine Absicherung des Landes dar. Strukturell bleibt die russische Wirtschaft weiterhin von der Entwicklung der Öl- und Gaspreise abhängig. Rohstoffe stehen für rund 80 Prozent der russischen Exporte und finanzieren zu einem erheblichen Teil den Staatshaushalt.
Die Krise hat den Reformdruck in Russland stark erhöht. Eine schonungslose Analyse der Lage der russischen Wirtschaft lieferte Mitte September 2009 der russische Präsident Dmitri Medwedew, der für sein Land eine komplett neue Wirtschaftsstruktur und die Überwindung der Rohstoff-abhängigkeit fordert. Im Artikel „Vorwärts Russland“ für die Internet-Zeitung gazeta.ru vom 11. September 2009 und in seinem Bericht zur Lage der Nation am 12. November 2009 nannte Medwedew die bisherige Abhängigkeit Russlands vom Rohstoffhandel „erniedrigend“. „Rückständigkeit“ und „Korruption“, „geringe Energieeffizienz“ und „niedrige Produktivität“ müssten überwunden werden. Medwedew fordert eine „intelligente Wirtschaft“, die auf „innovativen Produkten“ und dem „Export neuer Technologien“ beruht. Dieses Ziel sei nur mit der Förderung von innovativen kleineren und mittleren Unternehmen und einem breiten Mittelstand zu bewerkstelligen.
In den vergangenen Jahren wurden von Medwedew einige Schritte hin zu einer offeneren Marktwirtschaft initiiert. Zu diesen Bemühungen passt auch die neue außenpolitische Doktrin Russlands, die Medwedew am 12. November 2009 in seiner Rede zur Lage der Nation skizzierte, die danach vom Außenministerium ausgearbeitet wurde und deren Grundzüge Mitte Mai 2010 in die russische Presse gelangten. Sie sieht eine stärkere Orientierung Russlands an EU und USA vor, um das Land auf Modernisierungs-kurs zu bringen. Die Außenpolitik solle pragmatisch gestaltet werden und vor allem dafür sorgen, dass mehr ausländische Investitionen ins Land fließen. Dazu ist an die Gründung strategischer Partnerschaften etwa mit den USA und den Ländern der EU gedacht. Zudem strebe Russland nun entschlossen den Beitritt zur Welthandelsorganisation WTO an. Die bereits seit Mitte der 90er Jahre andauernden Verhandlungen traten lange auf der Stelle, zuletzt infolge der Gründung einer Zollunion zwischen Russland, Kasachstan und Belarus. Im Herbst 2010 kam es dann zu Einigungen in den Verhandlungen mit den USA und der EU, sodass ein WTO-Beitritt Russlands für 2011/2012 realistisch erscheint.
Innenpolitisch drängte Medwedew in mehreren Gesetzen auf die Verringerung der bürokratischen Kontrollen von Betrieben, die Erleichterung der Ausgründung von Betrieben aus Hochschulen, die Verschärfung der Anti-Korruptionsmaßnahmen und die Steigerung der Energieeffizienz in Russland bis zum Jahr 2020 um 40 Prozent. Als Leuchtturmprojekt gilt die Gründung der Innovationsstadt Skolkowo, die im Frühjahr 2010 erfolgte. In Skolkowo bei Moskau soll eine Infrastruktur geschaffen werden, die 30.000 Menschen die Erforschung und Entwicklung von weltmarkttauglichen Produkten Made in Russia ermöglicht. Die fünf Bereiche, in denen nach Medwedew in Skolkowo prioritär gearbeitet werden sollte, sind: Energieeffizienz und Erneuerbare Energien, Raumfahrt, IT, Medizin und Kerntechnik. Hier werden für die russische Wirtschaft besondere Kompetenzfelder und Zukunftschancen vermutet. Die russische Regierung will in den Aufbau des Projektes knapp drei Milliarden Euro vornehmlich für die Infrastruktur investieren und High-Tech-Firmen aus dem In- und Ausland für eine Beteiligung gewinnen.
Ein weiteres Großvorhaben im Zuge der Modernisierungs-bemühungen aber auch der Haushalts¬konsolidierung ist ein von Finanzminister Kudrin im September 2009 angekündigtes großes Privatisierungsprogramm. Dieses soll in den nächsten Jahren bis zu 23 Milliarden Euro in den Staatshaushalt spülen.
Der eingeleitete Modernisierungskurs zeigt trotz einzelner Erfolge bislang allerdings erst wenige Früchte. Im aktuellen Doing-Business-Index 2011 der Weltbank rutschte Russland von Platz 116 auf 123 ab. Auch im Jahr 2010 musste Russland wieder einen Netto-Kapitalabfluss von 38 Milliarden Dollar hinnehmen.